(M)eine Weihnachtsgeschichte
Es ist Vorweihnachtszeit.
Ich liebe diese Zeit.
Eine Zeit in der ich vieles von dem umsetzen
kann und darf, was ich so gern habe …
Dekorieren, Basteln, Backen, Filme schauen,
Musik hören, Singen, das Schenken vorbereiten,
es mir gemütlich machen, entspannen, Kerzen
und Räucherstäbchen anzünden,
Adventskalendertürchen öffnen und auch mal
den Weihnachtsmarkt besuchen.
Aber auf den Straßen und zwischen den Buden
des Weihnachtsmarktes herrscht reger
Menschenverkehr. Das ist, was ich gar nicht mag!
Es ist zu laut und zu eng. Ich höre zu viele
Geräusche, ich rieche zu viele Gerüche, ich sehe
zu viele Menschen und leider spüre ich sie auch,
wenn sie mich (sicher unbeabsichtigt) berühren.
Man könnte sagen, der Weihnachtsmarkt und
ich, das ist eine Hassliebe!
Die Weihnachtszeit sollte ja mit dem Fest der
Liebe seinen Höhepunkt finden.
Dabei gibt es die Chance zur Ruhe zu kommen, in
sich zu gehen, mal mehr an andere Menschen zu
denken und sich dann mit ihnen gemeinsam an
das Menschsein zu erinnern.
Aber gerade in der Vorweihnachtszeit und
umgehend wieder nach Weihnachten sehe ich
das nicht. Zuerst achtet man auf die eigenen
Bedürfnisse, was um einen herum passiert, wird
ausgeblendet.
Vielleicht ist das für mich als hochsensible
Person auch so unverständlich, weil es mir gar
nicht möglich ist, alles andere auszublenden.
Aber ich will das auch nicht ausblenden! Ich will
nicht nur mich selbst sehen, ich bin ja auch nicht
alleine auf dieser Welt!
In diesem Jahr hatte ich auf dem
Weihnachtsmarkt aber folgendes Erlebnis:
Mit meinem Mann genoss ich einen Glühwein.
Auf der anderen Seite des Stehtisches, standen
zwei Frauen und ein Mann mit einer im Rollstuhl
sitzenden Frau. Sie konnte sich offensichtlich
weder alleine bewegen, noch trinken oder essen.
Ihr wurde ein Schwämmchen, getränkt mit
Glühwein oder Punsch, an die Lippen gehalten
und so konnte sie ein wenig den Geruch und den
Geschmack aufnehmen, was ihr gut zu gefallen
schien – sie lächelte ein wenig.
Diese Menschen schienen in diesem Moment
zufrieden und glücklich.
Natürlich musste ich sie ansprechen und ihnen
sagen, wie schön es ist zu sehen, wie sie
miteinander umgehen und was sie möglich
machen. Sie erzählten dann ein wenig von sich,
darüber, dass die Frau im Rollstuhl, die
Schwester ist, diese im Pflegeheim lebt und sie
nun gemeinsam mit der Lieblingspflegerin ein
paar schöne Stunden auf dem Weihnachtsmarkt
verbringen wollten. Die Schwester solle
teilhaben können, an besonderen Ereignissen, an
Weihnachten, am Leben.
Als sich diese tollen Menschen verabschiedet
hatten, gesellten sich zwei ältere Damen an den
Tisch.
Beide gehörten zu einer Reisegruppe, die den
Weihnachtsmarkt besuchten.
Die eine Dame fing an sich mit mir zu unterhalten
und erzählte wie schön diese Stadt für sie sei. Vor
Jahren wäre sie mit ihrem Mann hier gewesen
und sie wollten immer gemeinsam mal zu einem
Weihnachtsmarktbesuch wiederkommen. Ihr
Mann sei Architekt gewesen, den es in
sehenswerte Städte zog.
Nun war er aber schwer erkrankt und im letzten
Jahr verstorben. Also wollte sie für und im
Herzen mit ihm, diese Reise zum Leipziger
Weihnachtsmarkt wahrmachen. Sie war sehr
begeistert von der Stimmung und den vielen
Buden, die über einen Großteil der Innenstadt
verteilt sind und nicht, wie in anderen Städten,
nur auf dem Marktplatz ein weihnachtliches
Gefühl vermitteln. Ihrem Mann hätte das sehr
gefallen, sagte sie, aber in Gedanken und im
Herzen sei er bei ihr.
Auch wenn es schwer für sie war, wollte sie doch
vor allem sehen, was für ein erfülltes Leben sie
mit ihrem Mann gemeinsam hatte. Darauf wollte
sie sich fokussieren und dankbar dafür sein.
Wieder war ich sehr berührt und ergriffen.
Während ich mit dieser Frau sprach, bemerkte
ich nebenbei einen jungen Mann, der sich mit
meinem Mann unterhielt. Dieser junge Mann war
mit seinem Hund unterwegs und er erzählte
seine bewegende Lebensgeschichte: Er habe
viele Jahre auf der Straße gelebt und war die
meiste Zeit obdachlos. Er lebte vom „Schnorren“,
konsumierte Drogen und Alkohol und er wusste,
dass ihn dieses Leben irgendwann umbringen
würde. Was für ihn aber kein Grund war, sein
Leben zu verändern, denn er wollte frei sein. Frei
und unabhängig von allen gesellschaftlichen
Konventionen. Dass dieses Leben ihn aber weder
frei noch unabhängig gemacht hatte, bemerkte
er erst, als dieser Hund, der nun sein Begleiter
war, in sein Leben trat.
Der Hund war der Motor, sein bisheriges Leben
in Frage zu stellen. Da war plötzlich ein
Lebewesen, dass ihn uneingeschränkt und
unvoreingenommen liebte, was von ihm
abhängig und für das er nun verantwortlich war.
Diesem Hund wollte er ein anderes Leben bieten,
mit Struktur und einer dauerhaften Bleibe.
Also entschloss er sich, für seinen Hund, die Hilfe
des Systems anzunehmen und er bekam eine
eigene kleine Wohnung. Er hätte das dem Hund
nicht antun können, auf der Straße leben zu
müssen, sagte er. Sein Leben weiter in gesunde
Bahnen zu lenken, dabei helfe ihm der Hund und
zusammen seien sie ein gutes Team.
Was für eine bewegende Geschichte von einem
Menschen, der bisher von seinen Mitmenschen
lieber übersehen wurde.
Völlig fremde Menschen haben sich uns an
diesem Tag und an diesem Ort geöffnet. All diese
Menschen hatten Schicksalsschläge zu
verkraften und mussten ihr Leben neu sortieren.
Sie haben nicht aufgegeben und haben für sich
beschlossen, dass es selbst in den dunkelsten
Zeiten, Licht gibt. Es war ein weihnachtliches
Gefühl, welches sich in mir ausbreitete. Es waren
nicht die Buden des Weihnachtsmarktes, oder
der Glühwein … nein, es waren diese Menschen,
die mir dieses Gefühl gaben, trotz ihrer
ergreifenden Geschichten.
Aktuell gibt es gesellschaftlich und weltweit
Herausforderungen, denen wir uns stellen
müssen. Not, Elend, Leid, Hass, Hetze, Egoismus
etc. prägen das Leben. Und einige Menschen
finden, es wäre verlogen, wenn man in der
Weihnachtszeit „auf heile Welt machen würde“.
Aber es existiert eben auch der Glaube an das
Gute, an Mitgefühl, trotz aller Schwierigkeiten!
In den schlimmsten Krisen und Kriegen wurde
Weihnachten gefeiert. Menschen haben sich ans
Menschsein erinnert und in dieser Zeit die
Waffen schweigen lassen.
Auch im Kleinen kann man empathische Gesten
sehen und selbst verteilen. Sei es nur mit einem
Lächeln oder der Frage, wie es dem anderen
Menschen geht.
Es gibt noch so vieles, was wir tun können, damit
dieses Weihnachtsgefühl im Laufe des Jahres
nicht verblasst. Lass uns kreativ werden, lass uns
anderen Menschen – und damit auch uns selbst -
ein gutes Gefühl geben, lass uns menschlich sein.
Und mit dem folgenden, wie ich finde, sehr
passenden Gedicht von Henry van Dyke,
wünsche ich dir frohe Weihnachten!
Weihnachten bewahren
„Das ist Weihnachten bewahren.
Ich beschließe zu vergessen, was ich für andere getan
habe und will mich daran erinnern, was andere für
mich taten. Ich will übersehen, was die Welt mir
schuldet und daran denken was ich der Welt schulde.
Ich will erkennen, dass meine Mitmenschen genauso
wirkliche Wesen sind wie ich und will versuchen,
hinter ihren Gesichtern ihre Herzen zu sehn, die nach
Freude und Frieden hungern.
Ich will das Beschwerdebuch gegen die Leistungen
des Universums schließen. Und mich nach einem
Platz umsehen, wo ich ein paar Saaten Glücklichsein
säen kann.“ Henry van Dyke jr.
Herzlichst Anke
Anke Mutmacherin
Beratung/ Coaching/ Seelsorge (nicht nur) für
hochsensible Menschen